Unarten durch falsche Haltung – Einzelhaltung von Pferden und ihre Folgen
Weben, Koppen und andere Verhaltensstörungen bei Pferden
Durch die kleinen Fenster dringt ein wenig Licht in die Stallgasse. Am Ende der Gasse steht Grim, ein rhythmisches Rascheln verrät ihn schon aus der Ferne. Grim ist ein „Weber“. Ohne Pause „webt“ er in seiner Box hin und her. Man kennt dieses Verhalten von Raubkatzen aus dem Zoo, die in ihren oft viel zu kleinen Käfigen herum-„tigern“. Für Grim sieht die Welt sehr ähnlich aus. Zweimal am Tag wird er gefüttert, alle zwei Tage wird er geritten und den Rest der Zeit verbringt das Pferd in der Box.
Bis vor wenigen Jahren wurden diese und andere Verhaltensstörungen bei Pferden noch als „Untugenden“ bezeichnet. Die vermenschlichende Denkweise machte aus dem anormalen Verhalten des Tieres ein „ungezogenes“ Verhalten. Erst in den letzten Jahren machten sich Pferdehalter und –experten zunehmend Gedanken über das Verhalten, die Bedürfnisse und Haltungsbedingungen von Pferden.
„Pferdeflüsterer“, Pferdepsychologen und Pferdetherapeuten – die Aushänge an den schwarzen Brettern der Reithallen zeugen von einer rasanten Entwicklung, die leider auch wenig qualifizierte aber geschäftstüchtige „Experten“ in großer Anzahl geboren hat. Dabei wären die meisten der Verhaltensprobleme leicht zu vermeiden, wenn man sich im Umgang und der Haltung der Tiere auf die Lebensbedürfnisse der Pferde einstellt.
Black Beauty und Fury haben in unseren Köpfen ein unrealistisches Bild vom Leben und den Bedürfnissen eines Pferdes geschaffen. Ein Pferd ist kein Hund und der Mensch ist kein passender Sozialpartner für das Herdentier, auch wenn die vielen Teenager, vom Pferdefieber gepackt, dies gerne so sehen würden. Der Mensch verhält sich wie ein Artgenosse, wenn er das Pferd putzt, aber er verbringt nicht Tag und Nacht mit ihm, wie dies für ein Herdentier normal wäre. Zuweilen benimmt sich der Mensch sogar wie ein Raubtier, dass sich auf den Rücken zu schwingen versucht.
Das Pferd ist kein Raub- sondern ein Fluchttier. Ein guter Pferdetag ist ein Tag an dem nichts Neues passiert und an dem man nicht vor Feinden flüchten muss. Statt dessen verbringen Pferde 60 % ihrer Zeit mit dem Fressen. Bis zu 16 Stunden täglich bewegt sich das Tier mit kurzen aber stetigen Schritten über eine Weide und nimmt immer wieder kleine Mengen Futter zu sich. Der Rest bleibt für Sozialkontakt und Dösen. So sähe ein guter Pferdetag aus.
Grims Tage sehen anders aus. Statt in 16 Stunden nimmt er sein Kraftfutter in Minuten zu sich und wenn er Glück hat, gibt es noch Heu oder Stroh, mit denen er sich täglich weitere 4 Stunden beschäftigen kann. Für die restlichen 20 Stunden steht er untätig in der Box und die Holzwände, an den Seiten bis zur Decke hochgezogen, erlauben nicht einmal Sozialkontakt zu den Nachbarboxen und deren Bewohnern.
Diese Unterbeschäftigung kann später zu sich wiederholenden Zwangshandlungen oder sogenannten Stereotypien führen. Über Stunden zeigen die Tiere Boxenlaufen, Weben, Schütteln des Kopfes oder Scheuern des Schweifes. Auch das Koppen (Luftschlucken) oder Zungenspielen gehören zu den Verhaltensstörungen der verzweifelten Tiere.
Um die Folgen der Isolation und des Mangels an Beschäftigung zu verhindern sollten gute Pferdeställe Gitter zwischen den Boxen haben die Kontakt zu den Nachbartieren erlauben. Große Fenster nach draußen dienen als Pferde-Kino, denn für die neugierigen Tiere gibt es immer einen Grund um die Ecke zu schauen. Heu und Stroh sind zum Kauen und Spielen viel besser als Torf und sollten deshalb einen Teil der Einstreu bilden. Und schließlich sind Freiläufe mit anderen Pferden auf der Koppel, Ausritte, und Wellness-Einheiten beim Putzen und Striegeln immer eine willkommene Abwechslung. Nur wenige Pferdebesitzer wissen: Pferde spielen für ihr Leben gern. Ein Ball kann ein Pferd zum Beispiel für lange Zeit beschäftigen – die amüsierten Zuschauer im Übrigen auch. Natürlich muss man darauf achten, dass das Tier das Spielzeug nicht frisst und daran erkrankt.
Am allerbesten wäre die Gruppenauslaufhaltung. Diese modernen Haltungssysteme mit transpondergesteuerter Fütterung ist ein praxistauglicher Kompromiss zwischen den Bedürfnissen des Pferdes nach Sozialkontakt und Bewegung und den Forderungen der Halter nach Verfügbarkeit und individueller Fütterung. Entgegen der landläufigen Meinung besteht hier kein größeres Verletzungsrisiko und die Verhaltensstörungen treten deutlich seltener auf. Einen Nachteil hat das „wilde Leben“: die Tiere sind schmutziger. Aber wen stört das schon, wenn sein Pferd dafür zufrieden und ausgeglichen ist?